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Einmal quer durch den Runden Salon von Sanssouci

"Condé" - das letzte Leibreitpferd Friedrich II von Preußen als Zeitzeuge der Geschichte Preußens und der Veterinärmedizin in Berlin

Als vor wenigen Monaten Friedrich der Große mitsamt seinem Reitpferd vom Sockel des berühmten Reiterstandbildes Unter den Linden in Berlin gehoben wurde, stellte sich erneut die Frage, wer dem berühmten Künstler Christan Daniel Rauch bei der Denkmalsgestaltung Modell stand? Die Identität des Großen Preußenkönigs steht zweifelsfrei fest. Ein Mysterium spinnt sich jedoch um das imposante, elegante Reitpferd: War es vielleich doch "Condé", das letzte Leibreitpferd und Liebling Friedrich II?

Zunächst soll "Condé" vorgestellt werden, bevor diese Frage am Schluß der Ausführungen erneut aufgegriffen wird. Um Besorgnissen vorzubeugen, sei jedoch betont, daß der berühmte und verehrte Preußenkönig samt Pferd keineswegs im Zuge eines politisch motivierten Denkmalsturzes vom Sockel gehoben wurde (Vergleichbares war in Deutschland nicht selten), sondern nach einer allfälligen Restaurierung im ursprünglichen Glanz seinen alten Platz am Eingangsportal der Humboldt-Universität wieder einnehmen wird, hoffentlich bald!

Im Jahr 1777 macht Friedrich der Große Bekanntschaft mit einem damals elfjährigen Fliegenschimmel-Wallach, der von Wolny, dem Bereiter im königlichen Marstall aus England erworben wurde. Nachdem er vom Stallmeister Wetge zugeritten worden war, konnte Friedrich der Große schließlich im Frühjahr seinen ersten Ausritt mit ihm wagen. Beim Absitzen wurde das Reitpferd nach dem Prinzen Louis Henri de Bourbon-Condé benannt und stand seitdem in großer Gunst bei Friedrich II. Das Prachtpferd bestach durch Umgänglichkeit und Selbstbewußtsein. Selbst vor Kanonendonner scheute er nicht.

Auch "Condé"selbst hätte wohl keinen Grund zum Klagen gehabt, schließlich wurde er dem König täglich vorgeführt. Außerdem ging er bereits in den Vorruhestand, noch bevor er tatsächlich zu Arbeiten begonnen hatte. Er wurde nur durch gelegentliche Spazierritte und während der alljährlichen Potsdamer Herbstparade von den Freuden des Parks von Sanssouci abgehalten, wo er mit einem silberbestickten blausamtenem Reiterzeug ausgeputzt war. Der große Preußenkönig konnte sich bereits damals den Luxus einer innigen Tierliebe zu seinem Leibreitpferd "Condé" leisten. Die Privilegien gegnüber seinen Artgenossen waren einzigartig, denn diese wurden damals zur harten Arbeit in der Landwirtschaft und beim Militär herangezogen. "Condé" durfte im Schloßpark frei herumlaufen, ohne daß ihm dabei Grenzen gesetzt wurden, selbst vor dem Runden Salon machte er nicht halt. Dabei können dann auch schon mal einige Fliesen zerbrechen, die für solch einen gewichtigen Besucher nun mal nicht gedacht sind. Innige Tierliebe - sofern auf Gegenseitigkeit beruhend - ist oft die einzige wahre Liebe im Leben. Sie zeigt sich dann, wenn selbst nach einem solchen Malheur harte Konsequenzen seitens der staatstragenden Obrigkeit ausbleiben.

Friedrich der Große - nach eigenem Bekunden der erste Diener seines Staates - wählte selbst ein weniger freizügiges Leben. Mit inzwischen 66 Jahren ritt der König nicht mehr weit, und im Bayrischen Erbfolgekrieg von 1778/79, auch als Kartoffelkrieg bekannt, nahm er nur noch per Postkutsche teil. "Condé" konnte währenddessen dem schönen Leben in Potsdam frönen, wo er vom Oberstallmeister Graf Schwerin persönlich betreut wurde. Die Tierliebe ging soweit, daß dieser dem König in Intervallen Berichte über das Lieblingspferd ins Feld schicken mußte.

Im Jahre 1786, dem Jahr seines Todes, versuchte Friedrich der Große im Mai noch einmal auf "Condé" auszureiten, aber es fiel ihm zu schwer, so daß er nur von Sanssouci bis zum Neuen Palais kam. Er mußte umkehren, da er sich in seiner Gesundheit zu angegriffen fühlte. Im Juni hat er es abermals versucht auf "Condé" auszureiten, aber auch dieser Versuch schlug fehl. Danach ging es ihm noch schlechter als zuvor im Mai. Er erlitt 2 Tage danach einen Blutsturz.

Den dritten und letzten Ausreitversuch mit "Condé"unternahm Friedrich II am 04. Juli 1786. Er ließ sich aufs Pferd heben und ritt - meistens im Galopp - eine Dreiviertelstunde spazieren. Er kehrte völlig erschöpft zurück. Es war sein letzter Ritt. Am 17. August 1786 verstarb der König schließlich. "Condé" jedoch überlebte ihn noch 18 Jahre. Er kam nach dem Tod Friedrichs II zunächst in das Gestüt Neustadt/Dosse und 1790 schließlich in die "Königliche Tierarzneischule in Berlin", die in diesem Jahr gegründet wurde. Dort lebte er bis zum Jahre 1804 und starb im hohen Alter von 38 Jahren.

Zu Lebzeiten des Großen Preußenkönigs nahm "Condé" hautnah ein Stück preußischer Geschichte wahr, und danach war das Prachtpferd lebendiger und schließlich toter Zeitzeuge der Geschichte der Veterinärmedizin in Berlin.

"Condé" überdauerte seinen eigenen Tod, denn seine Haut wurde nicht für immer dem Jenseits übergeben, sondern für die Nachwelt erhalten. Präparatoren gerbten sie und stopften sie nach dem damaligen noch unvollkommenen Vorgehen in der Dermatoplastik aus. Die Kopfhaut wurde über einen hölzernen Kopf gezogen, der von einem unbekannten Künstler angefertigt wurde. Zusammen mit dem blausamtenen Geschirr befand sich die Haut viele Jahre im Langhans-Kuppelbau, in der späteren Veterinär-Anatomie der Tierärztlichen Hochschule Berlin und wurde dann im früheren Hohenzollern-Museum, dem späteren "Zeughaus" und heutigem "Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden, ausgestellt.

Hier erfreuten sich die weltlichen Reste des einstigen Lieblingspferdes auch unter den Besuchern großer Beliebtheit, die jedoch eher dazu führte, daß mutwillig nach und nach die schwarzen Tupfen im weißen Fell herausgezupft wurden. So wurde das Präparat mit der Zeit immer unansehnlicher und das blausamtene Reiterzeug immer abgegriffener. Schließlich nahm es sein endgültiges und jähes Ende mit der Zerstörung des Museums für Deutsche Geschichte durch eine Luftmine im 2. Weltkrieg.

Das Skelett von "Condé" wurde im Auftrage von Professor Sick vom Prosektor Dr. Reckleben präpariert und im Anatomischen Museum des Langhansschen Kuppelbaus aufgestellt. Es ist nicht sonderlich erstaunlich, daß der damalige Skelettbau noch nicht den heutigen Standard erreichte, und damit einige Defizite nicht zu leugnen sind. 1838 wird das Skelett, das ein Exponat der 300 Präparate darstellte, von dem damaligen Anatomen Professor E. F. Gurlt erwähnt und beschrieben.

1902 zog mit dem Anatomischen Museum das Skelett des "Condé" in die neu errichtete Veterinär-Anatomie, nur wenige Meter vom Langhansschen Kuppelbau entfernt. Es erhielt auf Anregung von Professor Schmaltz eine ovale Emailletafel, die sich noch heute am Skelett befindet, deren Inschrift wie folgt lautet:

"Condé", König Friedrichs des Großen Leibpferd.

"C." diente König Friedrich von 1711-1786

und trug ihn bei seinem letztem Ritt am 4. Juli 1786.

"C." starb 38 Jahre alt anno 1804.

Zugleich mit der Wiedervereinigung Deutschlands und Berlins kam es zum dramatischen Wandel in der Berliner Veterinärmedizin. Weil an der Freien Universität im Jahre 1952 auch im damaligen Westteil der Stadt eine sehr erfolgreiche Bildungsstätte gegründet wurde, gab es nach der Wiedervereinigung neben vielen anderen Kuriositäten die wohl einmalige Besonderheit, daß eine Metropole nun zwei veterinärmedizinische Fakultäten besaß, die jedoch wegen der allseits bekannten Finanznot nicht zu halten waren, zumal das Studium der Veterinärmedizin zu den teuersten Bildungsgängen überhaupt gehört. Nach einem Beschluß des Berliner Senates und des Abgeordnetenhauses wurden beide renommierten Bildungsstätten vereinigt, und nach fünfjähriger Fusionszeit (1992-1997) gehören beide endgültig zur Freien Universität Berlin, die selbst in diesem Jahre ihren 50. Geburtstag feiert.

Zu Lebzeiten des Großen Preußenkönigs nahm "Condé" hautnah ein Stück preußischer Geschichte wahr, und danach war das Prachtpferd lebendiger und schließlich toter Zeitzeuge der Geschichte der Veterinärmedizin in Berlin.

Friedrich der Große war als Tierfreund ein herausragender Förderer der Veterinärmedizin in Berlin. Auf seiner Inititiative basiert die "Königliche Tierarzneischule", die 4 Jahre nach seinem Tode 1790 in der heutigen Stadtmitte Berlins gegründet wurde. Seitdem - also 208 Jahre - war "Condé" in hautnaher Beobachtungsposition zur erfolgreichen veterinärmedizinischen Forschung und Lehre in Berlin. Das Skelett von "Condé" hat schließlich einen würdigen Platz im hervorragenden Anatomischen Museum des Institutes für Veterinär-Anatomie der Freien Universität in Berlin-Dahlem gefunden.

Friedrich der Große besaß zahlreiche Leibreitpferde. Er konnte bereits zum Zeitpunkt seiner Krönung im Jahre 1740 eine Marstall mit 4060 Pferden sein eigen nennen. Am Anfang seiner Regierungszeit erhielten die Pferde Namen nach Charakter und Exterieur wie Sternrappe, Fuchs und Brilliant. Später jedoch nahm die Namensgebung - wie bei "Condé" - Bezug auf Persönlichkeiten: So ritt Friedrich der Große ab 1760 auf "Bute", der nach einem englischen Staatsmann benannt wurde, auch ein "Caesar" und "Brühl" - benannt nach dem sächsischen Premierminister unter August dem Starken - standen in seinem Marstall.

Bekanntheit errang jedoch zunächst das Pferd seines Flügeladjutanten Kapitän von Götzen. Es ging in die Geschichte ein, weil der König beim Besteigen des Pferdes in der Schlacht bei Kunersdorf dem Tod nur um Haaresbreite entging. Er wäre fast von einer Kugel getroffen worden, hätte ihn nicht die goldene Tabattière in seiner Brusttasche vor größerem Schaden bewahrt. Unklar wird jedoch wohl immer bleiben, ob diese Rettung allein der Tabaksdose oder nicht auch einer plötzlichen Bewegung des Pferdes zu verdanken war.

Von allen berühmten Leibreitpferden Friedrich des Großen nimmt "Condé" einen hervorragenden Rang ein, denn als Skelett spielt das Pferd auch heute noch eine Rolle in der Ausbildung junger Tierärzte. Während die sehr vielen - didaktisch wertvollen - Ausstellungsstücke des Anatomischen Museums überwiegend zum "Begreifen" anatomisch komplizierter Sachverhalte herangezogen werden, ist ein "Begreifen" des Skelettes von "Condé" wegen seines historischen Wertes nicht erlaubt. Dennoch dient es dem Studium und läßt folgende Erkenntnisse zu: Das Skelett läßt ein hohes Alter, einen sehr guten Gesundheitszustand zu Lebzeiten, besonders am passiven Bewegungsapparat und ein markantes Knochenrelief eines edlen Pferdes erahnen, das bei aller Freiheit doch sehr oft ein Reiterzeug trug.

Das Alter eines Pferdes kann vorrangig am Abrieb der Zähne abgeschätzt werden.
An "Condés" Schädel ist der Zahnabrieb zwar erheblich, aber weniger als erwartet.
Wenn man nämlich berücksichtigt, daß die drei paarigen (linken und rechten) Schneidezähne, nämlich die mittelständigen Zangen, die Mittelschneidezähne und die Eckschneidezähne nach Beendigung ihres Wachstums eine ursprüngliche Länge von ca. 18, beziehungsweise 14, beziehungsweise 20 mm aufweisen, und der Zahnabrieb mit 3, bzw. 4, bzw. 5 Jahren beginnt und pro Jahr ca. 2 mm beträgt, dann dürften nach einem einfachen Rechenexempel die Schneidezähne des 38jährigen "Condé" restlos abgerieben sein. "Condé" besaß jedoch an seinem Todestag, am 18. April 1804, noch alle Schneidezähne, die deutlich über das Niveau des Zahnfleisches hinausragten, auch wenn sie gemäß Beschreibung des berühmten Anatomen Gurlt aus dem Jahre 1838, nur noch locker in den knöchernen Zahnfächern steckten. An den Backenzähnen ist nach den Regeln der Zahnaltersschätzung die zunächst schmelzfaltige, rauhe Kaufläche zunehmend und im Alter von 18 Jahren vollständig geglättet.
In Anbetracht des sehr hohen Alters überrascht es, daß "Condés" Kauflächen zwar weitgehend, aber nicht vollständig, geglättet sind. Einen senilen Zahnausfall hatte "Condé" nicht zu beklagen. Bei alleiniger Beurteilung des Gebisses würde man das edle Reitpferd jünger schätzen, als es an seinem Todestag (38jährig) war. Wieso nun diese Sonderstellung? Der Zahnabrieb wird besonders durch Rauhfutter (Heu) vorangetrieben.
Ist es möglich, daß der Liebling des Königs weniger Rauhfutter verzehrte als seine weniger bevorzugten Artgenossen? Überliefert wurde, daß "Condé" während seines Aufenthaltes in Sanssouci persönlich vom großen Preußenkönig mit Zuckerstückchen sowie Feigen und Melonen aus der Orangerie - also nicht gerade mit Rauhfutter - verwöhnt wurde. Auch später während seines Aufenthaltes in der Königlichen Tierarnzeischule in Berlin konnte "Condé" ausgewählte weiche Gräser geniessen, die ihm auf großen gepflegten und üppigen Koppeln zur Verfügung standen.

Der beneidenswerte Gesundheitszustand von "Condé" war unter anderem auch das Resultat guter Ernährung. Daß Merkmale typischer "Berufskrankheiten" vieler heutiger Reitpferde am Skelettsystem von "Condé" nicht vorkommen, ist sicherlich das Resultat vernünftiger Trainings- und Leistungsanforderungen, wurde doch "Condé" erst als 11jähriger zugeritten und zur intensiven Gangart veranlaßt, heute kaum noch vorstellbar! Selbst die Strahlbeine am Huf - Prädilektionsstellen häufiger und ernsthafter Erkrankugen, besonders nach Überbelastungen der Reitpferde - lassen am Skelett von "Condé" keinerlei Degenerationserscheinungen erkennen. Auch krankhafte Knochenzubildungen (Exostosen) als Folgen von Überstrapazierungen mit der Bildung von "Insertions-desmopathien" (chronische Entzündungen an Band- und Sehnenansätzen) sind ausgeblieben. Fehlanzeige auch beim Phänomen des "kissing spine", der entzündungsauslösenden Berührung benachbarter Wirbeldornfortsätze, als typisches Zeichen eines Senkrückens bei allzu frühem Trainings- und Leistungsbeginn der heutigen Reitpferde.

Der Nasenriemen des Reithalfters rieb offensichtlich so dauerhaft und intensiv, daß die darunterliegende Knochenplatte des Nasenbeins tief eingedellt und papierdünn, stellenweise sogar löchrig ist - ein deutliches Zeichen von Knochenschwund infolge anhaltender Druckbelastung (Knochen-Druckatrophie). Diese Veränderungen zeugen davon, daß "Condé" sehr oft in sein Reiterzeug eingespannt wurde und offenbar auch unsanft gezügelt wurde.

Das markante Knochenrelief läßt die Schönheit eines edlen Pferdes erkennen. Attribute, die für "Condé" zweifelsfrei zutrafen. Allein aus dem Knochenbau ist jedoch die eingangs gestellte Frage, ob "Condé" dem Künstler Rauch für die Gestaltung des Reiterstandbildes Modell stand, nicht zu beantworten. Ein zeitgenössischer Kupferstich des Künstlers Wolf, der neben dem Skelett das Anatomische Museum schmückt, ist für die Beurteilung des Exterieurs von "Condé" schon viel aufschlußreicher. Aber allein der Pferdeschweif, der nach dem Gespött von Zeitgenossen die am Denkmalssockel - unter der Pferdekruppe - völlig fehlplazierten Größen der Wissenschaft befächelt, läßt vermuten, daß "Condé" wohl doch nicht Modell stand, zumal das bekannte Reiterstandbild erst viele Jahre nach dem Tod des großen Preußenkönigs und wenige Jahrzehnte nach dem Tod des "Condé" vollendet wurde.

 

Artikel veröffentlicht in:

Budras, Klaus-Dieter, und Rolf Berg: Einmal quer durch den runden Salon von Sanssouci. Condé - das letzte Leibreitpferd Friedrich II von Preußen als Zeitzeuge der Geschichte Preußens und der Veterinärmedizin in Berlin. Reiten und Zucht in Brandenburg, 1 (1998), 20-22.